Vor mehr als 40 Jahren stand ich mit meinem Vater am Einstieg zur Arête du Raimeux im Jura – meine erste Klettertour. Kurz darauf folgten die erste Skitour und bald die ersten 4000er. Von ihm lernte ich, was es heisst, eine Tour zu planen, den Rucksack richtig zu packen und im entscheidenden Moment auch einmal umzukehren. Er gab mir das nötige Wissen auf den Weg, das mir mehr als einmal half, wenn es brenzlig wurde am Berg.
Auch heute noch stehen wir gemeinsam auf den Skiern. Die Begeisterung ist dieselbe geblieben, nur die Ansprüche haben sich verändert. Mein Vater, inzwischen 78 Jahre alt, zeigt mir immer wieder, worauf es im Alter ankommt: welche Bindung sich leichter bedienen lässt, welches Material Gewicht spart oder welches Tempo am besten passt. Dieses Praxiswissen ist Gold wert – besonders dann, wenn uns Seniorinnen und Senioren auf unseren Touren begleiten.
Immer wieder höre ich, dass das Tempo in Vereinen zu hoch ist oder dass sich manche ältere Bergfreunde nicht mehr trauen mitzukommen, weil sie einfach etwas mehr Zeit brauchen. Deshalb führen wir jeden Donnerstag eine gemütliche Skitour durch – offen für alle, die lieber in ruhigem Tempo unterwegs sind. Erstaunlich, wie viele Junge sich da gerne anschliessen und die Entschleunigung geniessen.
Die heutige Tour führt auf den Schären, oberhalb der Sellamatt. Begleitet werde ich von meinem Vater und seinem langjährigen Schulfreund Wädi. Seit sagenhaften 65 Jahren sind die beiden gemeinsam in den Bergen unterwegs. Ihre erste Tour unternahmen sie mit 13 Jahren – ohne Begleitung, dafür mit viel Abenteuerlust: von Walenstadt über Lüsis durchs Flüretobel bis zum Wildhauser Schofsboden, wo sie nach 2000 Höhenmetern in einer Alphütte übernachteten. Am nächsten Morgen ging es über den Zwinglipass zum Säntis und hinunter ins Ofenloch und weiter zur Alp Hölder, wo meine Urgrossmutter die Alp führte.
Auf den Schären geht es inzwischen etwas gemächlicher zu. Gut 500 Höhenmeter liegen vor uns. Zum Anspuren des frischen Schnees fehlt meinen beiden Begleitern die Kraft, also übernehme ich die Führung. Dank guter Ortskenntnis umgehe ich die steilen Passagen und wähle eine Route, die keine Spitzkehren erfordert. Der Rhythmus ist gleichmässig, die Stimmung ruhig, fast meditativ. Unterwegs bleibt Zeit für Geschichten aus alten Tagen – etwa wie meine Urgrossmutter die Schweine selbst tötete und zu Büchsenfleisch verarbeitete. Ich kenne die Geschichte, doch das Fleisch wird mit jeder Erzählung noch saftiger. Oder wie Wädi und mein Vater in der Kindheit von Reichtum träumten: «Einmal so viel Geld zu haben, dass es jeden Tag für eine Flasche Süssmost reicht.» Ich freue mich für die beiden, dass sie dieses Ziel erreichten.
Am Gipfel geniessen wir den Blick über das verschneite Toggenburg. Der Himmel ist klar, der Schnee glitzert – einer dieser Momente, in denen man eine tiefe Zufriedenheit verspürt. Ein Glücksgefühl, wie man es fast nur in den Bergen findet.
In der Abfahrt staune ich jedes Mal aufs Neue. Gelernt ist gelernt – technisch fahren die beiden nahezu fehlerfrei und kommentieren mit einem Schmunzeln, wenn sich junge Tourengeher mit ihrer Skitechnik abmühen. Von der Sellamatt geniessen wir die perfekt präparierte Piste hinunter ins Tal – wo die Knie nicht nur vom Glühwein langsam weich werden.